2003 erschien
die erste und äußerst gelungene Ausgabe von Plaque.
Man bekam Hunger auf mehr. Vier Jahre lies die Fortsetzung auf sich
warten. Das Vorwort der Herausgeber Johann Ulrich und Kai Pfeiffer
lässt erahnen, woran es lag. Kommen in Berlin (und nicht nur dort)
auf jede Theaterkarte rund 100 Euro Subventionen, so ist im Kulturbereich
Comic noch immer ein Mangel an Fördermittel zu beklagen. Betrachtet
man die bundesrepublikanische Mediennutzung, so lässt sich allgemein
feststellen, je niedriger das inhaltliche Niveau, desto höher das
Publikumsinteresse. Man denke nur an die jüngere Vergangenheit, als
die Biographie eines Dieter Bohlen
den deutschen Buchhandel rettete. Im Umkehrschluss tut sich der avant-verlag
da natürlich schwer, denn hier erscheinen niveauvolle Kunst-Comics.
Sie bekommen viele Auszeichnungen, aber dann doch leider zu wenig
Käufer. Die öffentliche Hand mit ihrem Auftrag Kunst und Kultur zu
fördern ist hier auf beiden Augen blind.
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Jedes
Mal, wenn eine akademische Arbeit über Comics geschrieben wird,
muss der Autor das Rad neu erfinden, d. h. über Seiten hinweg erklären,
was ein Comic ist und was nicht. Eine allgemeingültige Definition
gibt es nicht. Und manche wollen sie auch gar nicht ... so wie Horus
("Wüstensöhne")
in seinem Essay "Im Comic erweckt“ ("Ich halte solches Ab- und Ausgrenzen
für nicht wichtig.“). Nichtsdestotrotz greift er Scott
McClouds Verständnis des Mediums Comic als "Sequential Art“
an und stellt die „Kombination von Wort und Bilder in räumlicher
Anordnung und gegenseitiger Abhängigkeit“ dagegen. Er lässt selbst
bestimmte Einzelbilder als Einzelbild-Cartoon, d. h. als eine extreme
Form als Comic gelten. Zwar ehrt ihn seine Absicht, "bereits vorhandene
weite Horizonte neu zu öffnen“, doch sollte man die Kirche im Dorf
lassen. Der Begriff Comic wird zur leeren Worthülse, wenn sein Bereich
über jegliche Grenzen hinaus ausgeweitet wird, um möglichst viele
Formen unter einem Hut zu vereinen. Diesen Hut gibt es schon: Bild(er)geschichten.
Niemand würde behaupten Dia-Show und Film wären ein und das selbe.
Warum dann dem Comic sein Wesen der "laufenden Bilder vor dem inneren
Auge“ nehmen? Damit bestimmte Künstler für den Bereich Comic vereinnahmt
werden können? Das Medium Comic weißt auch in den Grenzen der engen
Bildfolge noch ein unentdecktes Potential auf. Plaque ist das „Magazin
für Wort und Bild“ ... Comic ist ein Teilbereich davon .
Es gibt Zeichner, da sind die
einen Leser ganz vernarrt in das Werk, während die anderen so rein
gar nichts damit anfangen können. Die humoristischen Strips von
Nicolas Mahler ("Flaschko")
wurden 2006 mit dem Max-und-Moritz-Preis prämiert, schafften den
Sprung raus aus Österreich nach Frankreich, Kanada und Amerika,
wurden sogar fürs Theater adaptiert und verfilmt ... und doch ist
noch nicht jeder vom "Mahlerischen Minimalismus“ bzw. "Minimahlismus“
infiziert. Wer ihn noch nicht kennt, kann ihn in "a king´s tale“
kennen lernen .
David B. (Pierre-François Beauchard) erzählt in "Die Ereignisse
der Nacht“ vom Versuch mittels eines bizarren Buches den Engel des
Todes zu überlisten. Wie schnell kann man in solche Abenteuer stürzen,
wenn man von bestimmten Büchern träumt. Die mystische, unheimliche
Geschichte und die Zeichnungen im schönsten Schwarz/weiß-Kontrast
verraten den Comic-Großmeister Jacques Tardi als Vorbild. Bekannt
ist David B. vor allem für seine autobiographische Reihe "Die heilige
Krankheit“ über seine Jugend und die Epilepsie-Erkrankung seines
Bruders. Er gilt seinerseits als Inspirationsquelle von Marjane
Satrapi ("Persepolis") und
Craig Thompson ("Blankets").
In der ersten Plaque-Ausgabe wurde der Comiczeichner ATAK vorgestellt.
Der Künstler war von 2002 bis 2004 Dozent für Zeichnen und Illustration
an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg).
Dort lehrt auch Anke Feuchtenberger als Professorin im Fachbereich
Gestaltung. Beide verbindet zudem ihre Herkunft aus Ostberlin, die
gleichen Verlage, bei denen ihre Werke erscheinen, und dass sie
als Speerspitze deutscher Comic-Kunst gehandelt werden. Während
der Westen Deutschlands oft an einer Übersättigung an Comics krankte,
scheint das Fehlen in der ehemaligen DDR mehr Freiraum für kreative
Eigenständigkeit geboten zu haben. Plaque präsentiert "Die Überfahrt".
Im Interview nennt Feuchtenberger ihre Wurzeln in der Plakatkunst
liegend. Entsprechend wirken ihre Zeichnungen einzeln graphisch
für sich, auch wenn sie in eine Geschichte eingebettet sind. Ihre
Comics sind geprägt von ihrer eigenen Gedanken- und Gefühlswelt
und so bewegt sich Feuchtenberger inhaltlich wie technisch in jenem
Grenzbereich, den Horus in seinem Eingangsessay als noch zu entdeckendes
Land beschreibt .
Wen David Lynchs Film "Der Elefantenmensch“ berührt hat, der wird
auch von Ulli Lusts sensiblen Comic "Die Gorillafrau“ angesprochen
werden. Die Wienerin zeichnete eine Episode aus dem Leben der Julia
Pastrana (1832-1860), die als die hässlichste Frau auf Jahrmärkten
herumgezeigt wurde .
Einziger Wehrmutstropfen im Buch ist der Comic "Hawai“ von Matt
Broersma. Er selbst sagt, dieser wäre seine "Rebellion gegen das
Fließbandsystem im amerikanischen Comic, wo sogar viele alternative
Comics versuchen, den gängigen Look zu imitieren. Ich wollte, dass
meine Geschichte genau das Gegenteil dessen sein sollte, persönlich
und verworren und handgemacht. Sie soll die Intimität eines handgeschriebenen
Briefes oder einer Zeichnung aus dem Skizzenbuch haben. Mit all
ihren Fehlern.“ Das ist ihm gelungen. Krakeliger Zeichenstil des
Protestes wegen – als Leser tut man sich mit den amateurhaft-erscheinenden
Bildern eher schwer. Schade, die Geschichte á la Raymond Chandler
hätte mehr Potential gehabt. Was hätte ein David B. daraus machen
können!
Was lange währt wird endlich gut? Ja. Oberflächlich betrachtet,
scheinen die Beiträge zwar keinen Zusammenhang zu haben, doch der
rote Faden ist ihre Umsetzung innerer Erlebniswelten, Gedanken und
Gefühlen. Der Band ist eine erfrischende Alternative zum Mainstream-Comic
... Comics für Hirn und Herz sozusagen. Hoffentlich lässt der nächste
Band nicht wieder so lange auf sich warten ... und vielleicht gibt
es dann auch wieder einen Länderschwerpunkt wie in der ersten Ausgabe.
Ralf Palandt
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