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Was lange währt wird endlich gut? Comics für Hirn und Herz


 
Titel: Plaque 02 – Magazin für Wort und Bild
Text: Johann Ulrich und Kai Pfeiffer (Hg.) u. a.
Zeichnungen/Inking/Farben: diverse
Umfang: 160 Seiten
Format: C5, Softcover, s/w und vf.
Preis: EUR 16,95
Verlag: avant
Website: www.avant-verlag.de  


2003 erschien die erste und äußerst gelungene Ausgabe von Plaque. Man bekam Hunger auf mehr. Vier Jahre lies die Fortsetzung auf sich warten. Das Vorwort der Herausgeber Johann Ulrich und Kai Pfeiffer lässt erahnen, woran es lag. Kommen in Berlin (und nicht nur dort) auf jede Theaterkarte rund 100 Euro Subventionen, so ist im Kulturbereich Comic noch immer ein Mangel an Fördermittel zu beklagen. Betrachtet man die bundesrepublikanische Mediennutzung, so lässt sich allgemein feststellen, je niedriger das inhaltliche Niveau, desto höher das Publikumsinteresse. Man denke nur an die jüngere Vergangenheit, als die Biographie eines Dieter Bohlen den deutschen Buchhandel rettete. Im Umkehrschluss tut sich der avant-verlag da natürlich schwer, denn hier erscheinen niveauvolle Kunst-Comics. Sie bekommen viele Auszeichnungen, aber dann doch leider zu wenig Käufer. Die öffentliche Hand mit ihrem Auftrag Kunst und Kultur zu fördern ist hier auf beiden Augen blind.
 
    
 

Jedes Mal, wenn eine akademische Arbeit über Comics geschrieben wird, muss der Autor das Rad neu erfinden, d. h. über Seiten hinweg erklären, was ein Comic ist und was nicht. Eine allgemeingültige Definition gibt es nicht. Und manche wollen sie auch gar nicht ... so wie Horus ("Wüstensöhne") in seinem Essay "Im Comic erweckt“ ("Ich halte solches Ab- und Ausgrenzen für nicht wichtig.“). Nichtsdestotrotz greift er Scott McClouds Verständnis des Mediums Comic als "Sequential Art“ an und stellt die „Kombination von Wort und Bilder in räumlicher Anordnung und gegenseitiger Abhängigkeit“ dagegen. Er lässt selbst bestimmte Einzelbilder als Einzelbild-Cartoon, d. h. als eine extreme Form als Comic gelten. Zwar ehrt ihn seine Absicht, "bereits vorhandene weite Horizonte neu zu öffnen“, doch sollte man die Kirche im Dorf lassen. Der Begriff Comic wird zur leeren Worthülse, wenn sein Bereich über jegliche Grenzen hinaus ausgeweitet wird, um möglichst viele Formen unter einem Hut zu vereinen. Diesen Hut gibt es schon: Bild(er)geschichten. Niemand würde behaupten Dia-Show und Film wären ein und das selbe. Warum dann dem Comic sein Wesen der "laufenden Bilder vor dem inneren Auge“ nehmen? Damit bestimmte Künstler für den Bereich Comic vereinnahmt werden können? Das Medium Comic weißt auch in den Grenzen der engen Bildfolge noch ein unentdecktes Potential auf. Plaque ist das „Magazin für Wort und Bild“ ... Comic ist ein Teilbereich davon .

Es gibt Zeichner, da sind die einen Leser ganz vernarrt in das Werk, während die anderen so rein gar nichts damit anfangen können. Die humoristischen Strips von Nicolas Mahler ("Flaschko") wurden 2006 mit dem Max-und-Moritz-Preis prämiert, schafften den Sprung raus aus Österreich nach Frankreich, Kanada und Amerika, wurden sogar fürs Theater adaptiert und verfilmt ... und doch ist noch nicht jeder vom "Mahlerischen Minimalismus“ bzw. "Minimahlismus“ infiziert. Wer ihn noch nicht kennt, kann ihn in "a king´s tale“ kennen lernen .

David B. (Pierre-François Beauchard) erzählt in "Die Ereignisse der Nacht“ vom Versuch mittels eines bizarren Buches den Engel des Todes zu überlisten. Wie schnell kann man in solche Abenteuer stürzen, wenn man von bestimmten Büchern träumt. Die mystische, unheimliche Geschichte und die Zeichnungen im schönsten Schwarz/weiß-Kontrast verraten den Comic-Großmeister Jacques Tardi als Vorbild. Bekannt ist David B. vor allem für seine autobiographische Reihe "Die heilige Krankheit“ über seine Jugend und die Epilepsie-Erkrankung seines Bruders. Er gilt seinerseits als Inspirationsquelle von Marjane Satrapi ("Persepolis") und Craig Thompson ("Blankets").

In der ersten Plaque-Ausgabe wurde der Comiczeichner ATAK vorgestellt. Der Künstler war von 2002 bis 2004 Dozent für Zeichnen und Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW Hamburg). Dort lehrt auch Anke Feuchtenberger als Professorin im Fachbereich Gestaltung. Beide verbindet zudem ihre Herkunft aus Ostberlin, die gleichen Verlage, bei denen ihre Werke erscheinen, und dass sie als Speerspitze deutscher Comic-Kunst gehandelt werden. Während der Westen Deutschlands oft an einer Übersättigung an Comics krankte, scheint das Fehlen in der ehemaligen DDR mehr Freiraum für kreative Eigenständigkeit geboten zu haben. Plaque präsentiert "Die Überfahrt". Im Interview nennt Feuchtenberger ihre Wurzeln in der Plakatkunst liegend. Entsprechend wirken ihre Zeichnungen einzeln graphisch für sich, auch wenn sie in eine Geschichte eingebettet sind. Ihre Comics sind geprägt von ihrer eigenen Gedanken- und Gefühlswelt und so bewegt sich Feuchtenberger inhaltlich wie technisch in jenem Grenzbereich, den Horus in seinem Eingangsessay als noch zu entdeckendes Land beschreibt .

Wen David Lynchs Film "Der Elefantenmensch“ berührt hat, der wird auch von Ulli Lusts sensiblen Comic "Die Gorillafrau“ angesprochen werden. Die Wienerin zeichnete eine Episode aus dem Leben der Julia Pastrana (1832-1860), die als die hässlichste Frau auf Jahrmärkten herumgezeigt wurde .

Einziger Wehrmutstropfen im Buch ist der Comic "Hawai“ von Matt Broersma. Er selbst sagt, dieser wäre seine "Rebellion gegen das Fließbandsystem im amerikanischen Comic, wo sogar viele alternative Comics versuchen, den gängigen Look zu imitieren. Ich wollte, dass meine Geschichte genau das Gegenteil dessen sein sollte, persönlich und verworren und handgemacht. Sie soll die Intimität eines handgeschriebenen Briefes oder einer Zeichnung aus dem Skizzenbuch haben. Mit all ihren Fehlern.“ Das ist ihm gelungen. Krakeliger Zeichenstil des Protestes wegen – als Leser tut man sich mit den amateurhaft-erscheinenden Bildern eher schwer. Schade, die Geschichte á la Raymond Chandler hätte mehr Potential gehabt. Was hätte ein David B. daraus machen können!

Was lange währt wird endlich gut? Ja. Oberflächlich betrachtet, scheinen die Beiträge zwar keinen Zusammenhang zu haben, doch der rote Faden ist ihre Umsetzung innerer Erlebniswelten, Gedanken und Gefühlen. Der Band ist eine erfrischende Alternative zum Mainstream-Comic ... Comics für Hirn und Herz sozusagen. Hoffentlich lässt der nächste Band nicht wieder so lange auf sich warten ... und vielleicht gibt es dann auch wieder einen Länderschwerpunkt wie in der ersten Ausgabe.

Ralf Palandt

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