Die Amerikaner
haben es schon vor einem halben Jahrhundert bei den Comics vorgemacht:
Varianten und Parallelwelten zu einer laufenden Serie zu entwerfen,
die ihren Reiz aus einer alternativen Konstruktion vertrauter Muster
ziehen. "What if“ hieß beispielsweise eine Heftserie bei Marvel
Comics, in der schon in den 1960ern das Potential von Geschichten
genutzt wurde, die sich in der regulären Serie nicht erzählen ließen,
weil sie mit der Konzeption der Hauptfigur und bisher aufgebauten
Strukturen der Serie brachen. Auch DC nutzte damals schon
dieses Rezept. Die alternativen Welten waren dabei selbstverständlich
auch eine Möglichkeit, zusätzliche "Produkte“ zu schaffen und
damit weiteren Profit zu erwirtschaften.
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Je
stärker sich ab den späten 1970ern aber dann die Autorenbewegung
in den Comic books durchsetzte, desto mehr wurde jedoch auch deutlich,
dass diese Methode mehr als nur eine Erweiterung der Produktpalette
ermöglichte: Frank Millers “The Dark Knight Returns“ machte
deutlich, wie der populäre Mythos, den die langlebigen Serien allein
schon durch eben ihre Generationen von Lesern umspannende Präsenz
ergaben, auch intellektuell spannend gebrochen, variiert und in
eine selbstreferentielle Reflexion getrieben werden kann. Seither
zählen die Brüche und Alternativwelten zum Alltag der amerikanischen
Comic-Book-Kosmen.
Davon
hätte sich Perry Rhodan Neo
mit Gewinn etwas abschauen können. Immerhin ist es sogar der regulären
Serie in ihren besten Zeiten bereits gelungen, sich selbst und ihre
Entwicklung zu reflektieren – etwa in den 1200er-Bänden mit den
katzenähnlichen Aliens der "Kartanin“ und den terranischen
Haudegen der "Star Warriors“, die eine Replik auf die recht
militarismusfreundliche Zeit des Solaren Imperiums in der Frühzeit
der Serie sind. Und es wäre für eine Science fiction-Serie spannend
gewesen, den eigenen Zukunftsentwurf, der bei PR ja schon in einem
fiktiven Jahr 1971 ansetzt, mit den realen Entwicklungen der seit
diesem Jahr vergangenen Jahrzehnte zu kontrastieren – wie es etwa
Hanns Kneifel im letzten Hardcover-Band seiner Atlan-Zeitabenteuer
getan hat, der die reale Mondlandung und das reale Apollo-Programm
mit der Mondlandung der Serie zusammenbringt. Wie spannend wäre
es gewesen, die aktuelle geopolitische Situation, die Wirtschaftskrisen,
die Wiederkehr der Religion und die postmoderne Pluralisierung mit
dem Aufbruch Perry Rhodans zur Einigung der Menschheit erzählerisch
zu verbinden! Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten, sich mit
vielerlei Anspielungen auf die Serie zu beziehen – wie es in gelungener
Weise etliche der spin off-Bücher bei Heyne tun.
Kaum
etwas von alledem. Die politische Zeitsituation ist eine schlichte
Neuauflage des Blockgegensatzes der 1960er Jahre und vermittelt
einem das Gefühl, im falschen Text zu sein. Nicht einmal wirklich
ein Retro-Setting gelingt der Serie hier, weil sie es trotz der
falschen geopolitischen Szenarien auf Aktualität anlegt. Hier ist
fast alles verschenkt, was die Neo-Variante an Potential zu bieten
gehabt hätte.
Auch
die Möglichkeiten selbstreferentieller Metatexte wird nur wenig
genutzt. Am besten gelingt es Leo Lukas in Heft 3, einen hübschen
ironischen Metatext mit dem Verkauf eines alten Science fiction-Magazins
in seine Variante der Finanzierung der Unternehmungen von Crest
und Manoli einzubinden (in der Ursprungsserie war es noch der Handel
mit arkonidischen Technologien). Von Einfällen dieser Art hätten
wir gerne mehr gefunden. Die Aufspaltung des "Zünder“-Mutanten
Goratschin kommt einer interessanten Variante immerhin nahe; ebenso
könnte der "Overhead“ Clifford Monterny mit seiner
neuen backstory noch eine spannende Figur werden. Und ja, auch das
Überleben von zwei Arkonidinnen sowie Crests Gefangenschaft
bei den Amerikanern verspricht eine interessante Alternative.
Verspricht
sie jedoch vorerst nur. Der übergreifende Plot entfaltet sich zäh
und allzu langsam – stattdessen walzt die Serie die Subplots um
die Herkunft, die backstories also, und die Introspektionen in die
psychische Befindlichkeit der Mutanten allzu breit aus. Gemessen
an den Handlungssträngen um Crest und vor allem um Rhodan selbst
ist dies dramaturgisch äußerst unausgewogen. So, wie auch Heft 4
von Wim Vandemann, einem der eigentlich schriftstellerisch guten
Autoren, der sich jedoch schlicht die Mühe spart, seine vier Handlungsstränge
dramaturgisch ineinander zu verschalten und sie stattdessen in vier
Blöcken einfach hintereinander stellt.
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Wenig
Freude bereiten zudem Frank Borschs Hefte, darunter auch die aktuelle
Nummer 6. Das liegt nicht zuletzt an schlicht grammatischen Fehlern,
die zumindest das Lektorat hätte entfernen müssen, wenn es denn
schon dem Autor nicht gelingt: "Sid hatte auf die Schüsse bestanden“
statt "auf den Schüssen“ (S. 8), "Er schnappte den Umschlag“
statt "schnappte sich“ (S. 117), "Er hatte nicht mehr
als mit einer Statistenrolle gerechnet“ statt "Er hatte mit
nicht mehr als mit...“ (S. 124) – um nur einige zu nennen.
Immerhin,
das Ende des Heftes lässt erwarten, dass nun allmählich die Handlung
um Rhodan in Gang kommen könnte. Höchste Zeit bei einer
Plotline, die sich vorerst nur bis zu Heft 8 erstrecken soll.
So
bleiben die Eindrücke zwiespältig: Die Serie hat ihre
Momente und interessante Varianten bei den Mutanten und der Crest-
und Thora-Handlung (die jedoch ebenfalls allmählich wieder
aufgenommen werden müsste), verfehlt das Klassenziel aber bei
der Zeitgeschichte und verschenkt weitgehend ihre Chancen beim selbstreferentiellen
Metatext. Es ist, als wolle das Team den Lesern beständig sagen:
"Momentchen bitte, viel Geduld, wir üben noch!“
Prof.
Dr. Thomas Hausmanninger
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