Der
Film:
“Stalag“ ist der Sammelname für pornografische
Groschenromanhefte aus den frühen 1960er Jahren, deren Geschichten
stets nach dem gleichen Muster ablaufen. In Stammlagern für Kriegsgefangene,
Stalag genannt, werden gutaussehende britische, meistens amerikanische
Piloten erniedrigt, gefoltert und vergewaltigt, und zwar von SS-Offizierinnen
(die es nicht gab,) mit der Statur und dem Aussehen einer Marilyn
Monroe. Am Schluss gelingt es den alliierten Soldaten die Oberhand
zu gewinnen und sie rächen sich, in dem sie ihre lüsternen und
sadistischen “Peinigerinnen“ vergewaltigen. Denkt man an die damalige
Pulp-Fiction-Industrie der USA mit ihren sexistischen Men’s
Interest-Magazinen, auf deren Titelbildern reihenweise Frauen
von hässlichen Nazi-Sadisten oder Männer von ebenso sadistischen
Nazi-Fräuleins in Uniform gefoltert werden, scheinen diese niedergeschriebenen
sadomasochistischen Phantasien nicht weiter skandalträchtig. Die
grellen Titelbildmotive der Stalag-Hefte stammen von eben diesen
US-Magazinen her.
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Doch was das Phänomen der Stalag-Hefte zu etwas besonderem macht, sie wurden in Israel, d.h. von Juden geschrieben, produziert und vertrieben, zu jener Zeit als sich durch den Eichmann-Prozess in Jerusalem der reale Horror der Konzentrationslager nicht länger verschweigen und verdrängen ließ. In seinem Dokumentarfilm gelingt es dem Journalist Ari Libsker die psychologische Seite des Phänomens aufzuzeigen. Den bunten, reißerischen Titelbildern der Stalag-Hefte stellt er schwarz/weiße, ruhige Interviewaufnahmen gegenüber. Er lässt Autoren, Verleger und Sammler erzählen, HistorikerInnen und Kulturwissenschaftlerinnen. Und Stück für Stück erkennt man, dass das Stalag-Phänomen mit dem Trauma der Holocaust-Überlebenden verbunden ist. So z.B. wenn Eli Keidar, Autor des ersten und stilprägenden Stalag-Romans, erzählt, wie sehr seine psychisch-labile Mutter als Holocaust-Überlebende von einer andauernden Todesangst in Besitz genommen war und ihn damit erdrückte. In seinen Texten aber konnte er frei sein und eine andere Welt erschaffen.
Offensichtlich waren die Stalag-Romane
für viele eine Art Befreiung und Protest in einem spießbürgerlich,
prüden Israel, das die Erinnerung an den Holocaust durch die Bücher
von K. Zetnik kanonisierte und ansonsten aber verdrängte. Zwei
Jahre währte der Boom, bis die Hefte verboten wurden. Der Film
schlägt mit Bildern von Führungen durch das Konzentrationslager
Auschwitz einen Bogen in die Gegenwart. Während die Stalag-Hefte
als Schundliteratur aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein verschwanden,
scheinen K. Zetniks Texte nach wie vor maßgebend zu sein in der
Bildungsarbeit zum Holocaust.
Obwohl die Ereignisse um die Stalag-Hefte
rund ein halbes Jahrhundert zurückliegen, regt der Film an über
ähnliche Phänomene nachzudenken, wie die fortwährende stereotype
Darstellung von männlichen sowie weiblichen Nazis als das personifizierte
Böse in US-amerikanischen SuperheldInnen-Comics und Abenteuer-Filmen.
Und mit Blick auf das deutsche Filmplakat und DVD-Titelbild fragt
man sich, wann es nicht mehr nötig sein wird, dass Hakenkreuz-Symbole
auf Nazi-Armbinden aus Angst vor Indizierung oder Verbot retuschiert
werden.
Ralf Palandt
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