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Experiment gelungen


 
Titel: Graphic Novel Highlights der neuen Süddeutschen Zeitung Bibliothek
Text: diverse
Zeichnungen/Inking/Farben: diverse
Umfang: 10 Hardcoverbände
Format: 17 x 24 cm, farbig und sw.
Preis: EUR 14,90 / EUR 19,90 / Alle 10 Bände EUR 119,-
Verlag: Süddeutsche Zeitung Edition
Website: www.sz-shop.de, www.sz-neueprodukte.de


Sechs Jahre nach dem Erscheinen der 12-bändigen “Bild-Comic-Bibliothek“ und der 20-bändigen Reihe “Klassiker der Comic-Literatur - Ausgewählt vom F. A. Z. – Feuilleton“ versucht sich wieder eine Zeitung am Verlegen einer Comic Edition. Die Süddeutsche Zeitung meidet jedoch das vermeintlich infantil belegte Wort “Comic“ und verlegt unter dem Motto “Literatur trifft Illustration“ zehn “Graphic Novels ausgezeichneter Autoren". Die Auswahl ist – abgesehen von einem ganz schön peinlichen Ausreißer (siehe ganz unten) – recht gelungen, wobei für den eigentlich vorgesehenen Titel “Maus“ von Art Spiegelmann mit “Gift“ von Peer Meter und Barbara Yelin ein mehr als passabler Ersatztitel gefunden wurde.
 
    
 

Den Auftakt der Reihe bildet "Ein Vertrag mit Gott: Mietshausgeschichten" (528 Seiten, 19,90 EUR). Mit diesem Band erlebte Will Eisner 1978 ein grandioses Comeback innerhalb der amerikanischen Comiclandschaft, die er zuvor schon einmal – inhaltlich und formal – mit den “Spirit“-Kurzgeschichten revolutioniert hatte. Nach Einstellung der Serie arbeitete er als u. a. Illustrator für die Army. Angeregt durch die Underground-Comics machte sich Eisner daran eine Comicgeschichte (bzw. gleich vier davon) zu erzählen, die sich an ein erwachsenes Publikum richtete(n). Um hierfür einen Buchverlag begeistern zu können, nannte er sein Werk Graphic Novel.

In der Titelstory "Ein Vertrag mit Gott“ erzählt Eisner wie ein frommer Mann nach dem Tode seiner Tochter an seinem Glauben zweifelt und zum rücksichtslosen Geschäftsmann wird. Die weiteren Geschichten handeln von einem talentierten Straßensänger, der kurz vor dem großen Durchbruch viel (nicht ganz unverdientes) Pech hat, sowie von einem unangenehmen Hausmeister, dem so übel mitgespielt wird, dass er dem Leser am Ende leid tut. Krönende Abschluss ist die Schilderung der Landpartie einiger Bewohner der New Yorker Dropsie Avenue (in dieser fiktiven Straße sind alle Geschichten beheimatet).

Mit großem Ensemble setzt Eisner hier äußerst souverän allerlei Geschichten über das Streben nach Glück und Liebe in Szene. Abgesehen davon, dass hier weißes anstatt nostalgisch anmutenden gelblichen Papier verwendet wurde, entspricht die SZ-Ausgabe der sehr schön aufgemachten (aber fast doppelt so teuren) Carlsen Edition, die mittlerweile mit Eisners “New York – Großstadtgeschichten“ fortgesetzt wurde. Das voluminöse SZ-Buch enthält neben "Ein Vertrag mit Gott“ sowie informativen Vor- und Nachworten auch noch Eisners thematisch verwandte Graphic NovelsLebenskraft“ und “Dropsie Avenue“.

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Seitdem in Persien der Schah abdankte "wird diese traditionsreiche Zivilisation fast ausschließlich mit Fundamentalismus, Fanatismus und Terrorismus in Verbindung gebracht", schreibt Marjane Satrapi im Vorwort dieses Buches. Um dem entgegen zu steuern hat die 1969 im Iran geborene Kinderbuch-Illustratorin ihre Kindheits- und Jugenderlebnisse in Form des Comics "Persepolis" (352 Seiten, 19,90 EUR) zu Papier gebracht. Ihre schwarzweißen Zeichnungen sind dabei zwar schlicht aber die mittlerweile auch verfilmte Geschichte ist dennoch ergreifend.

Marjane Satrapi gibt Unterricht in persischer Geschichte, erzählt aber auch von ihren eigenen Erlebnissen im Iran. Die teilweise lebensgefährlichen Bemühungen des Teenagers Marjane um etwas Individualität gipfeln schließlich darin, dass sie das Land verlässt und für einige Jahre in Österreich lebt. Nach einer desillusionierenden Rückkehr in den Iran und der gescheiterten Heirat mit einem Landsmann verließ Marjanes ihr Heimatlandes endgültig und lebt heute in Frankreich.

Mit "Persepolis" gelang Marjane Satrapi sowohl ein Buch über die persische Geschichte als auch die nachfühlbare Schilderung einer Kindheit und Jugend in einer instabilen und bedrohlichen Umwelt. Die Personen aus Marjanes Familie und ihrem Freundeskreis wirken dabei weniger wie Gestalten aus 1001 Nacht sondern sehr vertraut. Innerhalb der SZ-Reihe erscheint "Persepolis" erstmals in deutscher Sprache als Gesamtausgabe.

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Der Autor Peer Meter ("Haarmann") hat sich schon in dem Sachbuch “Eine Bremer Tragödie“ mit Gesche Gottfried beschäftigt, die gestanden hatte 15 Menschen (darunter ihre Eltern, Kinder und Ehemänner) mit “Mäusebutter“ (einem Gemisch aus Schmalz und Arsen) vergiftet zu haben und am 21. April 1831 öffentlich hingerichtet wurde. Diese Geschichte hat er dann zum Comic “Gift" (300 Seiten, 14,90 EUR) verarbeitet.

Hier erzählt er von einer (unbenannt gebliebenen) Schriftstellerin, die genau zum Zeitpunkt als die Giftmörderin hingerichtet wurde, nach Bremen reist. Die junge Frau erlebt und erfährt eine höchst ungute Stimmung in der Stadt. Dem Comic ist auf jeder Seite anzumerken, wie sorgfältig Meter recherchiert hat und wie gut er sich in der Materie auskennt. Der Leser ist ebenso begierig wie die Hauptfigur darauf, herauszufinden, wie es zu den Morden kommen konnte. Die Kohlezeichnungen von Barbara Yelin hingegen sind oft etwas zu detailarm und flüchtig geraten, stehen der spannenden Erzählung aber nicht im Wege.

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Mit "Shenzhen" (160 Seiten, 14,90 EUR) startete Guy Delisle 2000 seine Comicreportagen-Reihe über die Lebensbedingungen in den Ballungsräumen asiatischer Diktaturen. Er beschreibt wie es ihn für drei Monate zur Überwachung einer Trickfilmproduktion in die etwas nördlich von Hongkong gelegene gesichtslose chinesische Metropole Shenzhen verschlagen hat. Abgesehen von Arbeit und langweiligen Nächten im Hotel hat Delisle eigentlich eher weniger erlebt. Die ihm unterstellten chinesischen Animatoren lernt er – nicht nur bedingt durch die Sprachbarriere – kaum näher kennen und die Stadt schildert er als trostlos. Einzig Ausflüge nach Kanton und Hongkong bieten etwas Abwechslung bzw. westliche Kultur.

"Shenzhen" ist eine Art Ouvertüre zu Delisles drei Jahre später entstandenen “Pjöngjang“ (bei uns bei Reprodukt erschienen), einem deutlich vielschichtigeren und sehr viel souveräner zu Papier gebrachten Bericht über seine Erlebnisse in der nordkoreanischen Hauptstadt. Delisles danach erschienene Comicreportage “Aufzeichnungen aus Birma“ (ebenfalls Reprodukt) hingegen liest sich – da der Autor hier mit Frau und Kind reiste – über weite Strecken eher wie ein heiterer Familienroman. Doch insgesamt zeigen Delisles Comics, dass mit einem lockeren eher karikaturhaften Zeichenstil durchaus ernsthafte Inhalte transportiert werden können.

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Im Winter 1991 / 92 verbrachte der in Malta geborene US-Amerikaner zwei Monate in den besetzten Gebieten Palästinas. Seine Eindrücke hat er in einem kräftigen an Underground-Meister Robert Crumb erinnernden Zeichenstil zu Papier gebracht. Erzähltechnisch betrat Sacco mit "Palästina" (288 Seiten, 14,90 EUR) und dem Vorgänger "Bosnien" jedoch absolutes Comic-Neuland und er selbst bezeichnet sich als Cartoon-Journalist.

Saccos zunächst in Form von neun Comicheften erschienenen Berichte streifen scheinbar ziellos umher, vermitteln aber gerade dadurch den Eindruck, dass der Autor seine selbst vor Ort gewonnenen Eindrücke über die Leiden der Palästinenser unter der brutalen Willkür der israelischen Siedler und Soldaten möglichst ungefiltert mitteilen möchte.

Im Schlusskapitel erzählt Sacco von drei israelischen Soldaten, die einen palästinensischen Jungen verhören und dabei im Regen stehen lassen, während sie trocken unter einem Vordach stehen. Mit dieser selbst vor Ort erlebten leider alltäglichen Geschichte gelingt Sacco ein eindringliches Gleichnis auf die verfahrene Situation in Palästina. Sacco schlussfolgert, dass der Junge bestimmt nicht denken wird: "Eines Tages werden wir eine bessere Welt haben, und diese Soldaten und ich, wir werden uns als Nachbarn grüßen."

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Wie sehr viele Graphic Novels ist auch Alison Bechdels "Fun Home: Eine Familie von Gezeichneten" (240 Seiten, 14,90 EUR) eine autobiographische Erzählung. In ihrem preisgekrönten und in den USA sehr gut verkauften Comic, der bei uns eher unauffällig bei Kiepenheuer & Witsch erschien, erzählt sie von einem doppelten Coming Out mit tragischen Konsequenzen. Kurz nachdem sich Alison Bechdel ihren Eltern gegenüber als lesbisch outete (obwohl sie damals noch keinen gleichgeschlechtlichen Sex praktiziert hatte), stahl ihr Vater ihr die Show. Er gestand homosexuell zu sein und starb kurz darauf unter Umständen, die auf Selbstmord schließen lassen.

Sehr sensibel erzählt Bechdel von einer Kindheit in einer potemkinschen Ideal-Familie. Ihr Vater interessierte sich mehr für ein ansprechend dekoriertes Heim und die Jungen, die er in Literatur unterrichtete, als für seine Frau und Kinder. Während er wünschte, dass seine Tochter sich weiblicher geben und schöne Kleider tragen würde, erkannte Alison Bechdel langsam, dass ihr Vater eigentlich ein “Mädchen“ war.

Alison Bechdels Graphic Novel überzeugt vor allem in der ersten Hälfte sowohl zeichnerisch als auch als anspruchsvolle Erzählung. Doch nach und nach ermüdet die unchronologische Erzählweise der Autorin, die ständig weitere biographische Puzzleteile und schlaumeierische literarischer Anspielungen nachliefert, ohne dass die Geschichte dadurch an Tiefe gewinnt. Dennoch ist "Fun Home“ eine äußerst interessante Graphic Novel, die durch die Aufnahme in die SZ-Reihe auch bei Comicfreunden jene Aufmerksamkeit erhalten dürfte, die dem Band durch die Veröffentlichung bei einem “Nicht-Comic-Verlag“ bisher versagt geblieben ist.

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Noch etwas bezecht von den Folgen einer Geschäftsreise steigt der Architekt und Familienvater Hiroshi Nakahara scheinbar zufällig in den falschen Zug und landet in seiner Geburtsstadt Kurayoshi. Dort sucht er erstmals seit Jahren wieder das Grab seiner Mutter auf und fällt in Ohnmacht. Als er wieder erwacht, ist er plötzlich 14 Jahre alt und befindet sich im Jahre 1963. Er trifft auf seine Mutter und seinen Vater, der kurz darauf die Familie verlassen hat. Hiroshi setzt alles daran dies zu verhindern...

Diesen science-fiction-artigen Aufhänger nutzt Jiro Taniguchi "Vertraute Fremde" (409 Seiten, 14,90 EUR) zwar auch zu einigen recht amüsanten Situationen (endlich kann Hiroshi die damals schüchtern angehimmelte Flamme erobert und der Schulrowdy verprügelt werden) doch in erster Linie gelingt ihm eine – nicht nur für Comicverhältnisse – ungewöhnlich sensible und dichte Familiengeschichte vor dem mittlerweile schon historischen Hintergrund des langsam zu Wohlstand kommenden Nachkriegsjapans. Eine zusätzliche interessant Ebene erhält die Erzählung noch dadurch, dass Taniguchi immer wieder kurze Szenen mit Hiroshis beiden Töchtern einfügt, die ebenfalls befürchten, dass ihr Vater sie verlassen hat. Als erster japanischer Comic überhaupt wurde “Vertraute Fremde“ 2003 auf dem Comicfestival in Angouleme mit einem Preis ausgezeichnet und anschließend auch in Frankreich verfilmt.

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Der achte Band enthält mit "Blei in den Knochen" (94 Seiten, 14,90 EUR) den dritten von insgesamt fünf Comics in denen Jacques Tardi Geschichten mit dem von Léo Mallet erfundenen Privatdetektiv Nestor Burma erzählte. Doch während die anderen Comics, wie etwa das vielbeachtete “120, Rue de la Gare“, Adaptionen von Mallets Romanen waren, stammt bei "Blei in den Knochen" auch die Geschichte von Tardi.

Die Story spielt im Paris des Jahres 1957 und konfrontiert Nestor Burma mit dem Tod einer Frau, die er erst kurz zuvor kennengelernt hat, aber auch mit einem düsteren Kapitel aus dem besetzten Frankreich des Zweiten Weltkrieges.

Die Graphic-Novel-Etikettierung mag auf dieses französische Comicalbum nur bedingt zutreffen, doch Tardis lässige diesmal sogar farbigen äußerst atmosphärische Zeichnungen kommen auch in der etwas kleinformatigeren SZ-Ausgabe sehr gut zur Geltung.

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Als Johnny Cash im Folsom State Prison auftrat, sang er auch ein Stück namens “Greystone Chapel“. Diesen Song hatte ihm am Tag vor dem Konzert der Gefängnisgeistliche überbracht und es stammte vom Glen Sherley, der in Folsom wegen einiger bewaffneter Raubüberfälle einsaß. Diesen Häftling setzt Reinhard Kleist (“Castro“) in seiner Comic-Biografie "Cash - I see a darkness" (224 Seiten, 14,90 EUR) als Erzähler ein.

Einen zusätzlichen Reiz erhält die Geschichte noch dadurch, dass Kleist auch einige Songs wie “I shot a Man in Reno just to watch him die“ oder “A Boy named Sue“ sehr stimmungsvoll als Comic-Shortstories umgesetzt hat. Doch all dies wäre nur die halbe Miete, wenn Kleist nicht ein derart begnadeter Schwarzweiß-Zeichner und Bild-Erzähler wäre. Während sich Comic-Biografien meist darauf konzentrieren die Hauptfiguren möglichst realistisch abzubilden, beschränkt sich Kleist nicht darauf markante Situationen aneinander zu reihen, sondern bietet eine ebenso spannende wie eigene Version.

"Cash" wurde auf dem Comicfestival München zum “Besten deutschen Comic“ gekürt und erhielt dafür den Comicpreis PENG!.

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Der zehnte Band der SZ-Reihe ist ein Ausrutscher, denn es handelt sich hier nicht um eine Graphic Novel sondern um einen (zugegebenermaßen recht gelungen zusammen montierten) Fotocomic mit Standbildern aus Ari Folmans eher formal als inhaltlich überzeugenden Trickfilm "Waltz with Bashir" (128 Seiten, 14,90 EUR).

Doch davon abgesehen ist die Reihe recht gut zusammengestellt und die Verkaufszahlen der Hardcoverbände sind - wie zu hören ist – besser als erwartet. Auch das Vertrauen, dass die Leserschaft dem Urteil des SZ-Feuilletons (wo die einzelnen Titel an 10 aufeinanderfolgenden Freitagen vorgestellt werden) gegenüber aufbringt, dürfte dazu beitragen dass dem Medium Comic neue aufgeschlossene Leser zugeführt werden.

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