Sechs
Jahre nach dem Erscheinen der 12-bändigen “Bild-Comic-Bibliothek“
und der 20-bändigen Reihe “Klassiker
der Comic-Literatur - Ausgewählt vom F. A. Z. – Feuilleton“
versucht sich wieder eine Zeitung am Verlegen einer Comic Edition.
Die Süddeutsche Zeitung meidet jedoch das vermeintlich infantil
belegte Wort “Comic“ und verlegt unter dem Motto “Literatur trifft
Illustration“ zehn “Graphic Novels ausgezeichneter Autoren".
Die Auswahl ist – abgesehen von einem ganz schön peinlichen Ausreißer
(siehe ganz unten) – recht gelungen, wobei für den eigentlich vorgesehenen
Titel “Maus“ von Art Spiegelmann
mit “Gift“ von Peer Meter und Barbara
Yelin ein mehr als passabler Ersatztitel gefunden wurde.
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Den
Auftakt der Reihe bildet "Ein
Vertrag mit Gott: Mietshausgeschichten" (528
Seiten, 19,90 EUR). Mit diesem Band erlebte Will Eisner 1978 ein
grandioses Comeback innerhalb der amerikanischen Comiclandschaft,
die er zuvor schon einmal – inhaltlich und formal – mit den “Spirit“-Kurzgeschichten
revolutioniert hatte. Nach Einstellung der Serie arbeitete er als
u. a. Illustrator für die Army. Angeregt durch die Underground-Comics
machte sich Eisner daran eine Comicgeschichte (bzw. gleich vier
davon) zu erzählen, die sich an ein erwachsenes Publikum richtete(n).
Um hierfür einen Buchverlag begeistern zu können, nannte er sein
Werk Graphic Novel.
In der Titelstory "Ein
Vertrag mit Gott“ erzählt Eisner wie ein frommer Mann nach
dem Tode seiner Tochter an seinem Glauben zweifelt und zum rücksichtslosen
Geschäftsmann wird. Die weiteren Geschichten handeln von einem talentierten
Straßensänger, der kurz vor dem großen Durchbruch viel (nicht ganz
unverdientes) Pech hat, sowie von einem unangenehmen Hausmeister,
dem so übel mitgespielt wird, dass er dem Leser am Ende leid tut.
Krönende Abschluss ist die Schilderung der Landpartie einiger Bewohner
der New Yorker Dropsie Avenue (in dieser fiktiven Straße
sind alle Geschichten beheimatet).
Mit großem Ensemble setzt Eisner
hier äußerst souverän allerlei Geschichten über das Streben nach
Glück und Liebe in Szene. Abgesehen davon, dass hier weißes anstatt
nostalgisch anmutenden gelblichen Papier verwendet wurde, entspricht
die SZ-Ausgabe der sehr schön aufgemachten (aber fast doppelt
so teuren) Carlsen Edition, die mittlerweile mit Eisners
“New York – Großstadtgeschichten“
fortgesetzt wurde. Das voluminöse SZ-Buch enthält neben
"Ein Vertrag mit Gott“ sowie informativen Vor- und Nachworten
auch noch Eisners thematisch verwandte Graphic Novels “Lebenskraft“
und “Dropsie Avenue“.
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Seitdem
in Persien der Schah abdankte "wird diese traditionsreiche Zivilisation
fast ausschließlich mit Fundamentalismus, Fanatismus und Terrorismus
in Verbindung gebracht", schreibt Marjane Satrapi im Vorwort dieses
Buches. Um dem entgegen zu steuern hat die 1969 im Iran geborene
Kinderbuch-Illustratorin ihre Kindheits- und Jugenderlebnisse in
Form des Comics "Persepolis"
(352 Seiten, 19,90 EUR) zu Papier gebracht. Ihre schwarzweißen Zeichnungen
sind dabei zwar schlicht aber die mittlerweile auch verfilmte
Geschichte ist dennoch ergreifend.
Marjane Satrapi gibt Unterricht
in persischer Geschichte, erzählt aber auch von ihren eigenen Erlebnissen
im Iran. Die teilweise lebensgefährlichen Bemühungen des Teenagers
Marjane um etwas Individualität gipfeln schließlich darin, dass
sie das Land verlässt und für einige Jahre in Österreich lebt. Nach
einer desillusionierenden Rückkehr in den Iran und der gescheiterten
Heirat mit einem Landsmann verließ Marjanes ihr Heimatlandes
endgültig und lebt heute in Frankreich.
Mit "Persepolis" gelang
Marjane Satrapi sowohl ein Buch über die persische Geschichte als
auch die nachfühlbare Schilderung einer Kindheit und Jugend in einer
instabilen und bedrohlichen Umwelt. Die Personen aus Marjanes Familie
und ihrem Freundeskreis wirken dabei weniger wie Gestalten aus 1001
Nacht sondern sehr vertraut. Innerhalb der SZ-Reihe erscheint
"Persepolis" erstmals in deutscher Sprache als Gesamtausgabe.
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Der
Autor Peer Meter ("Haarmann")
hat sich schon in dem Sachbuch “Eine Bremer Tragödie“ mit Gesche
Gottfried beschäftigt, die gestanden hatte 15 Menschen (darunter
ihre Eltern, Kinder und Ehemänner) mit “Mäusebutter“ (einem Gemisch
aus Schmalz und Arsen) vergiftet zu haben und am 21. April 1831
öffentlich hingerichtet wurde. Diese Geschichte hat er dann zum
Comic “Gift"
(300 Seiten, 14,90 EUR) verarbeitet.
Hier erzählt er von einer (unbenannt gebliebenen) Schriftstellerin, die genau zum Zeitpunkt als die Giftmörderin hingerichtet wurde, nach Bremen reist. Die junge Frau erlebt und erfährt eine höchst ungute Stimmung in der Stadt. Dem Comic ist auf jeder Seite anzumerken, wie sorgfältig Meter recherchiert hat und wie gut er sich in der Materie auskennt. Der Leser ist ebenso begierig wie die Hauptfigur darauf, herauszufinden, wie es zu den Morden kommen konnte. Die Kohlezeichnungen von Barbara Yelin hingegen sind oft etwas zu detailarm und flüchtig geraten, stehen der spannenden Erzählung aber nicht im Wege.
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Mit
"Shenzhen"
(160 Seiten, 14,90 EUR) startete Guy Delisle 2000 seine Comicreportagen-Reihe
über die Lebensbedingungen in den Ballungsräumen asiatischer
Diktaturen. Er beschreibt wie es ihn für drei Monate zur Überwachung
einer Trickfilmproduktion in die etwas nördlich von Hongkong
gelegene gesichtslose chinesische Metropole Shenzhen verschlagen
hat. Abgesehen von Arbeit und langweiligen Nächten im Hotel
hat Delisle eigentlich eher weniger erlebt. Die ihm unterstellten
chinesischen Animatoren lernt er – nicht nur bedingt durch die Sprachbarriere
– kaum näher kennen und die Stadt schildert er als trostlos.
Einzig Ausflüge nach Kanton und Hongkong bieten etwas Abwechslung
bzw. westliche Kultur.
"Shenzhen" ist eine
Art Ouvertüre zu Delisles drei Jahre später entstandenen “Pjöngjang“
(bei uns bei Reprodukt erschienen), einem deutlich vielschichtigeren
und sehr viel souveräner zu Papier gebrachten Bericht über seine
Erlebnisse in der nordkoreanischen Hauptstadt. Delisles danach erschienene
Comicreportage “Aufzeichnungen
aus Birma“ (ebenfalls Reprodukt) hingegen liest
sich – da der Autor hier mit Frau und Kind reiste – über weite Strecken
eher wie ein heiterer Familienroman. Doch insgesamt zeigen Delisles
Comics, dass mit einem lockeren eher karikaturhaften Zeichenstil
durchaus ernsthafte Inhalte transportiert werden können.
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Im
Winter 1991 / 92 verbrachte der in Malta geborene US-Amerikaner
zwei Monate in den besetzten Gebieten Palästinas. Seine Eindrücke
hat er in einem kräftigen an Underground-Meister Robert
Crumb erinnernden Zeichenstil zu Papier gebracht. Erzähltechnisch
betrat Sacco mit "Palästina"
(288 Seiten, 14,90 EUR) und dem Vorgänger "Bosnien"
jedoch absolutes Comic-Neuland und er selbst bezeichnet sich als
Cartoon-Journalist.
Saccos zunächst in Form von neun Comicheften erschienenen Berichte streifen scheinbar ziellos umher, vermitteln aber gerade dadurch den Eindruck, dass der Autor seine selbst vor Ort gewonnenen Eindrücke über die Leiden der Palästinenser unter der brutalen Willkür der israelischen Siedler und Soldaten möglichst ungefiltert mitteilen möchte.
Im
Schlusskapitel erzählt Sacco von drei israelischen Soldaten,
die einen palästinensischen Jungen verhören und dabei
im Regen stehen lassen, während sie trocken unter einem Vordach
stehen. Mit dieser selbst vor Ort erlebten leider alltäglichen
Geschichte gelingt Sacco ein eindringliches Gleichnis auf die verfahrene
Situation in Palästina. Sacco schlussfolgert, dass der Junge
bestimmt nicht denken wird: "Eines Tages werden wir eine bessere
Welt haben, und diese Soldaten und ich, wir werden uns als Nachbarn
grüßen."
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Wie
sehr viele Graphic Novels ist auch Alison Bechdels "Fun
Home: Eine Familie von Gezeichneten" (240
Seiten, 14,90 EUR) eine autobiographische Erzählung. In ihrem
preisgekrönten und in den USA sehr gut verkauften Comic, der
bei uns eher unauffällig bei Kiepenheuer & Witsch
erschien, erzählt sie von einem doppelten Coming Out mit tragischen
Konsequenzen. Kurz nachdem sich Alison Bechdel ihren Eltern gegenüber
als lesbisch outete (obwohl sie damals noch keinen gleichgeschlechtlichen
Sex praktiziert hatte), stahl ihr Vater ihr die Show. Er gestand
homosexuell zu sein und starb kurz darauf unter Umständen,
die auf Selbstmord schließen lassen.
Sehr
sensibel erzählt Bechdel von einer Kindheit in einer potemkinschen
Ideal-Familie. Ihr Vater interessierte sich mehr für ein ansprechend
dekoriertes Heim und die Jungen, die er in Literatur unterrichtete,
als für seine Frau und Kinder. Während er wünschte, dass seine Tochter
sich weiblicher geben und schöne Kleider tragen würde, erkannte
Alison Bechdel langsam, dass ihr Vater eigentlich ein “Mädchen“
war.
Alison
Bechdels Graphic Novel überzeugt vor allem in der ersten Hälfte
sowohl zeichnerisch als auch als anspruchsvolle Erzählung. Doch
nach und nach ermüdet die unchronologische Erzählweise der Autorin,
die ständig weitere biographische Puzzleteile und schlaumeierische
literarischer Anspielungen nachliefert, ohne dass die Geschichte
dadurch an Tiefe gewinnt. Dennoch ist "Fun Home“ eine äußerst
interessante Graphic Novel, die durch die Aufnahme in die SZ-Reihe
auch bei Comicfreunden jene Aufmerksamkeit erhalten dürfte, die
dem Band durch die Veröffentlichung bei einem “Nicht-Comic-Verlag“
bisher versagt geblieben ist.
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Noch
etwas bezecht von den Folgen einer Geschäftsreise steigt der Architekt
und Familienvater Hiroshi Nakahara scheinbar zufällig in den falschen
Zug und landet in seiner Geburtsstadt Kurayoshi. Dort sucht er erstmals
seit Jahren wieder das Grab seiner Mutter auf und fällt in Ohnmacht.
Als er wieder erwacht, ist er plötzlich 14 Jahre alt und befindet
sich im Jahre 1963. Er trifft auf seine Mutter und seinen Vater,
der kurz darauf die Familie verlassen hat. Hiroshi setzt alles daran
dies zu verhindern...
Diesen
science-fiction-artigen Aufhänger nutzt Jiro Taniguchi "Vertraute
Fremde" (409 Seiten, 14,90 EUR) zwar auch
zu einigen recht amüsanten Situationen (endlich kann Hiroshi die
damals schüchtern angehimmelte Flamme erobert und der Schulrowdy
verprügelt werden) doch in erster Linie gelingt ihm eine – nicht
nur für Comicverhältnisse – ungewöhnlich sensible und dichte Familiengeschichte
vor dem mittlerweile schon historischen Hintergrund des langsam
zu Wohlstand kommenden Nachkriegsjapans. Eine zusätzliche interessant
Ebene erhält die Erzählung noch dadurch, dass Taniguchi immer wieder
kurze Szenen mit Hiroshis beiden Töchtern einfügt, die ebenfalls
befürchten, dass ihr Vater sie verlassen hat. Als erster japanischer
Comic überhaupt wurde “Vertraute Fremde“ 2003 auf dem Comicfestival
in Angouleme mit einem Preis ausgezeichnet und anschließend
auch in Frankreich verfilmt.
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Der
achte Band enthält mit "Blei in den Knochen"
(94 Seiten, 14,90 EUR) den dritten von insgesamt fünf Comics
in denen Jacques Tardi Geschichten mit dem von Léo Mallet
erfundenen Privatdetektiv Nestor Burma erzählte. Doch während
die anderen Comics, wie etwa das vielbeachtete “120,
Rue de la Gare“, Adaptionen von Mallets Romanen waren,
stammt bei "Blei in den Knochen" auch die Geschichte
von Tardi.
Die
Story spielt im Paris des Jahres 1957 und konfrontiert Nestor Burma
mit dem Tod einer Frau, die er erst kurz zuvor kennengelernt hat,
aber auch mit einem düsteren Kapitel aus dem besetzten Frankreich
des Zweiten Weltkrieges.
Die
Graphic-Novel-Etikettierung mag auf dieses französische Comicalbum
nur bedingt zutreffen, doch Tardis lässige diesmal sogar farbigen
äußerst atmosphärische Zeichnungen kommen auch in der etwas kleinformatigeren
SZ-Ausgabe sehr gut zur Geltung.
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Als
Johnny Cash im Folsom State Prison auftrat, sang er auch ein Stück
namens “Greystone Chapel“. Diesen Song hatte ihm am Tag vor dem
Konzert der Gefängnisgeistliche überbracht und es stammte vom Glen
Sherley, der in Folsom wegen einiger bewaffneter Raubüberfälle einsaß.
Diesen Häftling setzt Reinhard Kleist (“Castro“)
in seiner Comic-Biografie "Cash
- I see a darkness" (224 Seiten, 14,90 EUR)
als Erzähler ein.
Einen
zusätzlichen Reiz erhält die Geschichte noch dadurch, dass Kleist
auch einige Songs wie “I shot a Man in Reno just to watch him
die“ oder “A Boy named Sue“ sehr stimmungsvoll als
Comic-Shortstories umgesetzt hat. Doch all dies wäre nur die halbe
Miete, wenn Kleist nicht ein derart begnadeter Schwarzweiß-Zeichner
und Bild-Erzähler wäre. Während sich Comic-Biografien meist darauf
konzentrieren die Hauptfiguren möglichst realistisch abzubilden,
beschränkt sich Kleist nicht darauf markante Situationen aneinander
zu reihen, sondern bietet eine ebenso spannende wie eigene Version.
"Cash"
wurde auf dem
Comicfestival München zum
“Besten deutschen Comic“ gekürt und erhielt dafür den
Comicpreis PENG!.
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Der
zehnte Band der SZ-Reihe ist ein Ausrutscher, denn es handelt
sich hier nicht um eine Graphic Novel sondern um einen (zugegebenermaßen
recht gelungen zusammen montierten) Fotocomic mit Standbildern aus
Ari Folmans eher formal als inhaltlich überzeugenden Trickfilm "Waltz
with Bashir" (128 Seiten, 14,90 EUR).
Doch
davon abgesehen ist die Reihe recht gut zusammengestellt und die
Verkaufszahlen der Hardcoverbände sind - wie zu hören ist – besser
als erwartet. Auch das Vertrauen, dass die Leserschaft dem Urteil
des SZ-Feuilletons (wo die einzelnen Titel an 10 aufeinanderfolgenden
Freitagen vorgestellt werden) gegenüber aufbringt, dürfte dazu beitragen
dass dem Medium Comic neue aufgeschlossene Leser zugeführt werden.
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