Als es 1984 in der Punk-Hochburg München noch Hausbesetzungen und Straßenkämpfe mit Skinheads, Teds und “TSV 1860 München“-Fans gab, fiel mir das Comic-Magazin “MS Strapazin“ (Strapazin Nr. 2) in die Hände. Darin befand sich die von Thomas Ott gezeichnete Geschichte um einen Außenseiter mit Bart Simpson-Frisur (wobei es damals, Jahre vor Bart, in München vorkam, dass man wegen einer New-Wave-Frisur zusammengeschlagen und/oder aufs Polizeirevier mitgenommen wurde), der die Tristesse seines Lebens in der geschilderten Nacht mit einem Meteors-Konzert und dem Abhängen in der Titanic-Bar bekämpft.
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Ein Comic, der das Innenleben zahlreicher
Jugendlicher und auch meins in ungeschönten schwarz-weißen Bildern
wiedergab. Die Nachfrage nach mehr Ott-Bilderstoff war groß. Mit
der Ausgabe Nr. 5 bekam er sein erstes Strapazin-Titelbild
(1986), zur Geschichte “Hunde, Lust + Tod“. Das erste Strapazin-Heft
mit einer für Ott heute typischen, meisterlich in Karton geschabten
Bildergeschichte, war die Ausgabe Nr. 10 (“Honeymoon - A true love
Story“). Für seine Erzählungen ritzt und kratzt er mit einem Japanmesser
weiße Linien und Flächen in einen schwarzen Schabkarton, gerade
so wie etliche Punks damals mit Rasierklingen ihre Haut bearbeiteten.
In einem Interview in Strapazin Nr. 15 (mit Ott-Titelbild)
steht über den Züricher: “Gäbe es ‚The Playboys‘ nicht, wäre er
längst abgehauen aus dieser Stadt, die zwar so bequem zum Arbeiten,
aber doch schrecklich grau und verbiestert ist. Mal für eine Weile
nach Paris, oder Barcelona, oder New York.“ Unvergessen ist sein
Auftritt mit seiner Psychobilly-Band The Playboys auf dem
Comic Salon Erlangen, wo er 1996 den Preis als bester deutschsprachiger
Comic-Künstler verliehen bekam. Doch die Band löste sich auf, Ott
ging nach Paris, wo seine Bilder in Galerien ausgestellt wurden,
und in Strapazin war immer seltener was von ihm zu sehen.
Der vorliegende Band "R.I.P. – Best of 1985-2004“ schließt
quasi an die ersten Veröffentlichungen in Strapazin an
und zeigt einen Querschnitt seines Schaffens während der im Titel
angegebenen Zeit. Ott ist in der ganzen Zeit seinem Sujet, dem Wahnsinn
des Lebens, treu geblieben. Manchen seiner Figuren steckt der Wahnsinn
im Leib. Anderen begegnet der Wahnsinn in Gestalt eines Mitmenschen.
Wer kann schon sagen, was sein Nachbar hinter verschlossener Tür
treibt? Und manchmal spielt einem das Schicksal einen grausamen
Streich. Alle Protagonisten stehen auf der Schattenseite des Lebens,
die so dunkelschwarz ist wie die Farbe des Schabkartons. Wer diese
Seite des Lebens kennt, wird die Absurdität der Geschichten wiedererkennen
und verstehen. Durch die Schab-Technik bekommen die Augen seiner
Figuren eine ungeheure suggestive Leuchtkraft und ziehen den Leser
in ihren Bann. Eine empfehlenswerte Unterhaltung für dunkle Stunden.
Ralf
Palandt
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