Lange
musste der Starautor Grant Morrison warten, bis er endlich eine Superman-Geschichte
schreiben durfte, eine Geschichte über den Helden, den er so besonders
liebt. Als im Jahr 2006 die Verantwortlichen von DC das Imprint
"ALL STAR“ aus der Taufe hoben, bekam er endlich die Chance eine
eigene neue monatliche Serie, die frei von Continuity-Problemen war
und in der man neue und unverbrauchte Geschichten entwickeln konnte,
schreiben zu dürfen.
Wie man es von dem Autor Morrison nicht anders erwarten konnte. setzt er starke eigene Akzente, aber ebenso macht er Anleihen in der 70-jährigen Geschichte des Stählernen. An Altbekanntem und Bewährtem – an Aspekten, die er eben so liebt.
Und gleich beginnt er auch mit einem
Feuerwerk: Als Superman auf einer Rettungsmission für eine
Helionautencrew (Astronauten auf einer Mission zur Sonne) ins Herz
der Sonne eilen muss, hat die Sonnenbestrahlung für den Stählernen
drastische - und möglicherweise verheerende Folgen! Sein Körper
war zu sehr der Sonnenstrahlung ausgesetzt und seine (Solar-)Zellen
scheinen diese Überladung nicht unbeschadet überstanden zu haben
– er ist dem Tode geweiht.
Der Ansatz von Morrison ist eine
Mischung aus bekannten Elementen und völlig neuen Ideen. Sein Clark
Kent ist der etwas schusselige Reporter, der immer zu spät kommt,
weil er noch eben die Welt retten muss. Er liebt Lois und Lois liebt
Superman. Lex Luthor ist der ebenso geniale wie gemeine
Erzschurke von Superman. Ihm gelingt es, dem Mann aus Stahl
eine Falle zu stellen und bei diesem wissenschaftlichen Experiment,
das von einem reichen und selbstlosen Mäzen finanziert und durchgeführt
wird – er möchte eben bei dieser Expedition zur Sonne ein Stück
von ihr zur Erde bringen um das Geheimnis der Fusion zu ergründen
– einen beteiligten Astronauten (ein Metawesen) unter seine Kontrolle
zu bringen. Dieser droht die ganze Mannschaft und das Raumschiff
zu zerstören. Was ihm auch gelänge, wenn nicht Superman
in letzter Sekunde das Schlimmste verhindern würde. Er bringt die
Kapsel wieder heil zur Erde und muss nun leider erfahren, dass sein
Körper durch die viel zu nahe Exposition zur Sonne droht zu kollabieren.
Er wird sterben müssen.
Wie Prometheus der Menschheit das Feuer (und damit die Kultur) brachte, so versucht der reiche Dr. Leo Quintum der Menschheit “einen Teelöffel Sonne“ auf die Erde zu bringen und damit die Energieprobleme für alle Zukunft zu lösen. Er aber muss von Superman gerettet werden – genauso wie der Feuer bringende Titan Prometheus von Herakles gerettet werden musste
Wie der alte Held Herakles ebenfalls
zwölf Taten vollbringen musste, bevor er ein Gott (und damit unsterblich)
wurde, so hat Morrison gesagt, dass in jeder der zwölf Ausgaben
Superman eine der “12 Super-Challenges“ bewältigen wird.
Und diese Rettung der ersten bemannten
Raummission zur Sonne ist dann auch gleich die erste der bevorstehenden
Supertaten. Um die Neugier auf das “Wie schafft er das?“ ein wenig
zu erhöhen, hier die zwölf Taten im Einzelnen:
Superman wird/muss:
• die erste bemannte Mission zur
Sonne retten
• das Super-Elixier brauen
• die unbeantwortbare Frage beantworten
• den Chronovore, ein Monster, das
alles altern lässt, besiegen
• unsere Welt davor bewahren eine
Bizarro-Welt zu werden
• dem Underverse entkommen
• Leben schaffen
• Kandor befreien und Krebs besiegen
• die Tyrannensonne Solaris besiegen
• den Tod besiegen
• das künstliche Herz der Sonne
schaffen
• der Menschheit eine Formel hinterlassen,
um einen Superman 2 als Ersatz zu schaffen, während seiner
Abwesenheit in der Sonne bis zu seiner Wiederkehr.
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Durch die drastische Überladung
seiner Körperzellen bekommt Superman nicht nur neue Kräfte,
er wird auch superehrlich. So kann er nicht länger vor Lois seine
Geheimidentität verbergen – er muss es ihr sagen! Zumal sie auch
Geburtstag hat und für diesen Tag hat er sich nun etwas ganz Besonderes
ausgedacht: Er wird ihr sagen, wer er ist und sie in seine Festung
der Einsamkeit im ewigen Eis mitnehmen. Die Festung wird von Quitely
beeindruckend in Szene gesetzt und gleicht mehr der bekannten Silver-Age
Version, als späteren Interpretationen. Hier findet man die bekannten
Roboter von Batman, Robin und Jimmy Olsen & Co.
ebenso, wie den gigantischen Joker-Penny und die durchsichtige Blase,
die die Zeitmaschine ist, mit der die Mitglieder der Legion der
Superhelden durch die Zeit reisten. Diese Darstellung der Festung
der Einsamkeit ist eine Hommage an die Geschichte "The Super-Key
to Fort Superman" von ACTION COMICS #241 vom Juni 1958 (dt. bei
Ehapa in Superman/Batman 12/1968.3, "Der Superschlüssel zum Fort
Superman". In dieser Geschichte tauchte die bekannte Festung mit
ihrem gigantischen Schlüssel zum ersten Mal auf, hier schlich sich
Batman in die Festung indem er sich in den riesigen Schlüssel
einschweißte und fortan in der Festung Superman Streiche
spielte; sollte ein Geschenk sein zum Jahrestag der Landung seiner
Rakete auf der Erde. Am Ende spielt Superman aber Batman
einen Streich. Solche Geschichten sind zeitlos und jeder Superman-Fan
kennt sie wohl. Und genauso möchte Morrison seine Geschichten auch
verstanden wissen. Sie sollen anrühren und den Leser mitnehmen in
eine abenteuerliche Welt. Und in dieser Festung gibt es auch Hinweise
an andere Geschichten, wie diese von Morrison selbst erdachte zu
"DC ONE MILLION": In der Festung gibt es ein Sun-Eater-Baby, dass
mit Sonnen gefüttert werden muss, die Superman selbst schmiedet
auf dem Kosmischen Amboss von Neu-Olympus.
Beim Rundgang durch die Festung darf
Lois in jedes Zimmer schauen – nur nicht in einen bestimmten Raum.
Dies ist eine Anspielung auf das (wieder Mal zeitlose) Märchen von
König Blaubart. Nun hat Superman ihr also sein größtes
Geheimnis erzählt, sie aber kann es nicht glauben und zieht die
völlig falschen Schlüsse aus dieser Offenbarung: Anstatt, dass glücklich
ist, wittert sie einen Komplott und sie bekommt Angst vor der Wahrheit.
Quitelys Lois ist optisch sehr viel anders, als alle anderen Darstellungen,
die man so kennt: Sie wirkt unglaublich attraktiv, wie sie so panisch
durch die Festung irrt, auf der Flucht vor Superman und
auf der Suche nach einer wirksamen Waffe.
Und nun erhält sie ihr Geburtstagsgeschenk:
Eine Ampulle mit einem Serum, das sie für 24 Stunden genauso super
sein lässt wie Superman selbst: Superwoman (siehe
Supertat 2)!
So ziehen sie nach Metropolis um
nach dem Rechten zu sehen. Dort erscheinen neben einem urzeitlichen
Dinosaurier-Tyrannen aus dem Erdinneren auch noch zwei göttergleiche
Heroen, die unverblümt Lois Lane den Hof machen. Der eine ist der
zeitreisende Samson aus dem Jahr 2061 und der andere ist
Atlas, ebenfalls ein Superman der Mythologie.
Atlas löst das Problem mit dem Dino, indem er ihn kurzerhand
ins Weltall hinaus wirft. Und damit möchte er Lois beeindrucken.
Der wahre Superman kann diese Lösung ganz und gar nicht akzeptieren,
da im luftleeren Raum dieser sterben würde – also holt er ihn wieder
zurück zur Erde, was Lois auch besser findet.
Schließlich einigt man sich darauf
den Stärksten durch Armdrücken heraus zu finden. Superman
siegt problemlos und die beiden Unterlegenen haben nun gebrochene
Arme.
Der Tag geht zur Neige, die Superkräfte
schwinden und eine völlig erschöpfte Lois fällt in den Schlaf, noch
ehe Superman ihr seine so wichtige Frage stellen kann.
Der Heiratsantrag muss wohl noch etwas warten. Und bis dahin kann
noch so viel passieren. Hatte Samson nicht eine Ausgabe des Daily
Planet aus der Zukunft mitgebracht mit der Überschrift: "SUPERMAN
TOT"?? Geschrieben von einem gewissen Clark Kent?!
Luthor steht vor Gericht und wird
schuldig gesprochen für Vergehen gegen die Menschlichkeit. Sein
Urteil lautet: Elektrischer Stuhl. Auf Stryker's Island darf ihn
der Starreporter vom Daily Planet (das ist Clark Kent)
eine Stunde exklusiv interviewen.
Schon kurz nach Betreten rettet
Clark Kent (getarnt durch seine Tollpatschigkeit) Lex Luthor das
Leben. Ein Stromschlag hätte ihn wohl getötet, wenn Clark ihm nicht
aus Versehen vorher ein Gerät aus der Hand gerissen hätte: Eine
Ironie des Schicksals. Dank der Beweise vom Daily Planet
sitzt Luthor in der Todeszelle, aber der beste Reporter vom Planet
rettet ihm das Leben. Bei einem Rundgang durchs Gefängnis erklärt
Luthor ihm seine Sicht über Superman und wie er die Welt sieht.
Superman ist schuld an seinem Handeln und er, Luthor, wird nicht
eher ruhen, bis Superman tot ist. Gegenüber Clark Kent
erklärt er auch, dass er verantwortlich ist, für das langsame Sterben
von Superman.
Während sie durch das Gefängnis gehen, bricht der Parasit los und eine Revolte bricht aus. Clark hat nun das Problem, einerseits sein Interview weiterzuführen, nicht in Kontakt mit dem Parasiten zu kommen, die Revolte zu beenden, die Wärter zu retten, Lex Luthors Leben zu retten und nebenbei auch noch: Nicht seine Geheimidentität preiszugeben.
Aber dank seiner Super-Fähigkeiten gelingt ihm das ganz passabel: Im Supertempo fliegt er die Wärter von der Insel, er schweißt mit Hitzeblick Wasserleitungen auf, friert mit Superpuste das Wasser zu Eis und tritt ein kleines Erdbeben los, welches den Parasiten begräbt.
Unglaublich witzig, aber nachvollziehbar sind die Szenen, in denen Lex Luthor seinem Gegenüber Clark Kent tief in die Augen schaut – dieser aber nicht in ihm Superman erkennt.
Der Affe im Superman-Kostüm in Luthors
Zelle auf Stryker's Island erinnert an Beppo den Superaffen (aus
Superboy #76, Oktober 1959).
Rückblick: In Smallville stehen
Jonathan Kent und der junge Clark Kent auf den Feldern ihrer Farm
und betrachten den Sonnenuntergang. Da kommt ein Meteorit hernieder
und mit ihm landet Krypto der Superhund auf der Erde. Sofort
fängt der junge Superboy an, mit ihm auf Super-Art zu spielen:
Stöckchen holen mit Bäumen, Fangen spielen im Weltraum und die Aussicht
genießen auf die Erde vom Mond aus.
Auf der Farm erscheinen drei Fremde
und suchen als Erntehelfer Arbeit. Es stellt sich heraus, dass dies
Kal Kent, der Superman aus dem Jahr 853500 ist, zusammen mit seinen
Freunden, dem Unbekannten Superman und Klyzyzk Klzntplkz,
dem Superman aus der fünften Dimension. Sie sind in Smallvilles
Vergangenheit, um das Chronovore, ein Monster, das alles altern
lässt, was es berührt, unschädlich zu machen.
Das Monster treibt sein Unwesen (durch
Berühren verwandeln sich Kühe in das, was sie später
sein werden: Hamburger), und Superboy möchte den anderen
Supermännern helfen. Sie versuchen ihn aber daran
zu hindern, denn wer sich dem Monster entgegenstellt, dem klaut
es Zeit – genau diese Zeit wird Superboy gestohlen, in
dem das Herz von Jonathan Kent aufhört zu schlagen. Aber der
Unbekannte Superman ist bei Jonathan Kent und es stellt sich heraus,
dass er der Superman aus der All-Star-Continuity ist. So
ist es ihm vergönnt, doch bei seinem Vater in dessen Todesstunde
anwesend zu sein.
Nach dem Tod von Jonathan steht für
Clark fest, dass er Smallville verlassen möchte.
Superman-Prime (von DC
One Million) erscheint und erklärt (dem All-Star-Superman),
dass er zusammen mit drei Generationen (er selbst, sein jüngeres
Ich und sein Nachfahre aus dem Jahr 853500) heute den Chronovore
besiegt hat – eine seiner legendären zwölf Aufgaben. Der goldene
Superman-Prime übergibt Superman eine unzerstörbare Blume
von Neu Krypton und zurück in seiner Zeit. legt der All-Star-Superman
sie ans Grab von Jonathan Kent, mit dem er nun doch noch leibhaftig
sprechen könnte, bevor dessen Herz die Schläge ausgingen.
Wieder sind die Anspielungen und
Hommagen an das Silver-Age und an andere Arbeiten von Morrison
unzählig und sicherlich schwer, alle(!) zu erkennen. Man kann sich
nur wiederholen: Morrison kennt sich aus mit Superman wie kaum ein
zweiter, Morrison ist der moderne Jules Verne, Morrison ist Stephen
Hawking auf Crack. Unzählige Anspielungen an zwei alte – in Amerika
sehr erfolgreiche Serien: SUPERMAN’S GIRLFRIEND, LOIS LANE und SUPERMAN’S
PAL JIMMY OLSEN sind immer wieder zu finden.
Seine Ideen und Vorstellungen über die Zukunft und den damit verbundenen technischen Fortschritt sind phantastisch. Er sprüht (wie man es eben von ihm gewöhnt ist) nur so vor Einfallsreichtum und Kreativität. Morrison geht es gar nicht darum "realistische" Comic-Geschichten zu schreiben, sondern wunderbare, zauberhafte und utopische – aber in sich schlüssige – Storys, die anrühren und die typischen Themen der Menschlichkeit verarbeiten: Liebe, Scham, Angst, Tod und Freundschaft.
Dieser Morrison macht einfach Spaß und dieses Gefühl ganz in der Story zu verschwinden gibt es nur ganz selten. Das Entgegenfiebern dem nächsten Ideenblitz ist ein Gefühl, das im heutigen Comic-Einerlei leider viel zu selten sich einstellt. Bei diesem Opus stimmt alles: Witz, Fantasie, große Gefühle, Spannung – dargeboten in einer perfekten künstlerischen Harmonie zum Text.
Befreit von allen Fesseln der allgemeinen
DC-Kontinuität erleben wir den besten Superman seit
Jahrzehnten, geschaffen von zwei absoluten Comic-Genies – Grant
Morrison (JLA, X-Men) und Frank Quitely (X-Men).
Diese vorliegende Arbeit ist nicht
die erste gemeinsame Arbeit der beiden Kreativen Morrison/Quitely
für DC. Zuvor schufen sie schon zusammen "JLA: Earth
2" (dt. bei Dino JLA Sonderband #19).
Wie immer sind die Ideen von Morrison schrill und spektakulär, liebevoll altmodisch und unkonventionell progressiv. Die Bildsprache von Quitely ist ausdrucksstark und sein Talent Mimik und Gestik darzustellen einzigartig.
"Frank Quitely" ist sein Pseudonym – der richtige Name des schottischen Künstlers ist Vincent Deighan. "Frank Quitely" ist ein Wortspiel für "quite frankly".
Morrison und Quitely sind übrigens
beide in Glasgow geboren.
Norbert Elbers
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