"Sanshirō
hatte bisher in seinem Leben nur wenige Europäer gesehen. […]
Prächtige Exemplare wie diese hier waren für ihn etwas völlig
Neues. Sie schienen sehr vornehm zu sein. Sanshirō starrte
sie völlig hingerissen an. Er fand es verständlich, dass solche
Leute hochmütig waren. Er dachte sogar, er würde sich sehr klein
vorkommen, wenn er in den Westen ginge und sich unter lauter solchen
Menschen bewegte."
Japan,
zu Beginn des 20. Jahrhunderts: der junge Sanshirō ist von
seinem Heimatdorf Kumamoto nach Tokyo gekommen, um an der Universität
englische Literatur zu studieren. Dort freilich fühlt er sich
wie Heidi in Frankfurt, denn im Zuge der umfassenden Europäisierung
und Industrialisierung Japans herrscht in der Hauptstadt
mit all ihren Menschenmassen hektische Betriebsamkeit, was für
Sanshirō im Vergleich zu seiner gewohnten dörflichen Idylle wie eine Zeitreise in eine weit entfernte
Zukunft erscheint. Vor seinen Augen tut sich eine völlig neue
Welt auf, die ihn zugleich erschreckt und doch fasziniert. Er
trifft viele seltsame Menschen wie den kauzigen Professor Hirota,
findet aber auch neue Freunde. Als Sanshirō sich jedoch in
die rätselhafte "femme fatale“ Mineko verliebt, gerät
seine Welt einmal mehr aus den Fugen. Es ist nicht leicht, ein
Mann zu sein…
„Es
ist alles ganz alltäglich – Wunderbares kann ich nicht schreiben.“
Natsume Sōseki.
"Sanshirō“
erschien erstmals 1908 als Fortsetzungsroman in der Asahi Shinbun und wurde seit 1955 mehrfach
verfilmt. Ähnlich wie in seinem autobiographischen Roman Botchan (1906, dt. Der Tor von Tokio) schildert Natsume
Sōseki eine sich rasant
verändernde Welt aus der Sicht eines naiven jungen Mannes. Die
etwas morbide Todessehnsucht, die sich durch viele seiner Werke
wie Kokoro (1912, dt. Kokoro), aber auch humoristische Romane
wie Wagahai wa Neko de aru
(1905, dt. Ich, der Kater)
zieht, wird hier nur ansatzweise spürbar, trotzdem fühlt der Leser
bei all dem liebenswürdigen Humor Sōsekis doch eine stille
Traurigkeit zwischen den Zeilen.
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Fazit:
Natsume Sōseki (1867 – 1916) gilt -völlig zu Recht- als einer der ganz Großen
der Weltliteratur. Warum das so ist, werden Sie spätestens dann
wissen, wenn Sie dieses Buch gelesen haben. Auch mehr als 100
Jahre nach seinem Entstehen hat dieser einfach hinreißende Roman
nichts von seiner Faszination und seinem eleganten Wortwitz eingebüßt.
Mit beißendem Spott entlarvt Natsume die westliche Arroganz ebenso
wie er mit tabuloser Selbstironie die Schattenseiten der japanischen
Mentalität entblößt. Sein „reiner Tor“ Sanshirō -
hin- und hergerissen zwischen kultureller Tradition und westlicher
Moderne - ist ein Spiegelbild der japanischen Seele, die trotz
manch kleinem Fehler doch von überwältigender Größe und Schönheit
ist. Ein Meisterwerk.
Stefan
Meduna
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